Nio ET7 im Test: China dreht auf (2024)

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Der erste Eindruck: Kennen wir uns von irgendwoher? Nios ET7 wirkt vertraut. Das erste Auto, das die Chinesen in Europa auf den Markt bringen, erinnert von der Form her entfernt an Oberklassemodelle wie Mercedes EQS, Porsche Taycan, den kommenden BMW i7 und das Tesla Model S. Auch Nio ringt um Effizienz und hat das Design des ET7 deshalb im Windkanal optimiert. Herausgekommen ist vom schlanken Bug bis zum fließenden Heck eine aalglatte Stromlinienform (Cw-Wert 0,208). Nur die drei Höcker auf dem Dach machen ihn zumindest im Rückspiegel unverwechselbar.

Das sagt der Hersteller: »Jetzt wird es ernst«, sagt Firmenchef William Li. Spätestens mit dem Start in Deutschland tritt Nio voll auf die europäische Bühne und muss sich mit den Etablierten messen lassen. »Dafür sind wir gewappnet und darauf haben wir uns lange vorbereitet«, sagt Li und verweist auf die neue Plattform unter dem ET7 sowie die über den Globus verteilten Standorte der Firma. Zwar kommt das Geld aus China und die Fabrik steht in Hefei, doch die Entwicklungszentren betreibt Nio in England und im Silicon Valley. Das Designstudio sitzt in München.

Daran, dass viele Nio mit Tesla vergleichen, ist Li gewöhnt. Genau wie an die Suche nach Parallelen zwischen ihm und Elon Musk. Schließlich sind beide Selfmade-Milliardäre und in etwa gleich alt. Doch Li sieht große Unterschiede: Während Tesla sehr technologiegetrieben sei, gehe es Nio weniger ums Produkt als um das Erlebnis damit. Nicht umsonst sprechen sie bei Nio alle konsequent vom »User« statt von »Fahrerinnen« oder »Kunden«. Und Ambitionen im Weltraum teilt Li nicht: »Wir haben hier auf der Erde genug Aufgaben zu lösen, da müssen wir uns nicht auch noch auf anderen Planeten welche einhandeln.«

Und schneller als Tesla soll Nio schwarze Zahlen schreiben. Im Jahr acht nach der Gründung kann davon jedoch noch keine Rede sein. »Aber die Expansion beginnt ja auch gerade erst«, bittet Li noch um ein wenig Geduld.

Das ist uns aufgefallen: Bei der ersten Sitzprobe demonstriert der ET7 Oberklasse-Tauglichkeit. Edle Materialien wie der Rattan in den Türen sind gut verarbeitet und es gibt gefühlt unendlich viel Platz. Alles ist etwas liebevoller inszeniert als im Tesla, weil der Innenraum nicht ganz so leer wirkt. Gleichzeitig setzt sich Nio ab vom sportlichen Techno-Chic eines Porsche Taycan, aber auch vom Barock eines Audi A8, dem bemühten Futurismus des nächsten BMW-Siebeners oder vom digitalen Overkill eines Mercedes EQS.

Bei der Bedienung allerdings haben sich die Chinesen offenbar arg vom Model S inspirieren lassen und zwei, drei Schalter zu viel eingespart. Dass man selbst Spiegel und Lenkrad nur über den Touchscreen verstellen kann, nervt ein wenig.

Dafür verstecken sich auf dem großen, senkrecht montierten Touchscreen coole Funktionen: Das Auto dreht Landschaftsvideos, schießt Selfies, bietet Sprachkurse an oder motiviert zur Meditation an der Ladesäule. Zudem verwöhnt es Haustiere an Bord mit einem Wellnessprogramm.

Wer tief in die vielen Menüs eintaucht, findet die unterschiedlichen Fahrprofile. Sie sind bei Nio weiter ausdifferenziert als bei den meisten Konkurrenten: Die Lenkung lässt sich programmieren. Auf Knopfdruck verändern sich das adaptive Fahrwerk mit den Luftfedern, die Empfindlichkeit des Fahrpedals und die Stärke der Rekuperation. So passt der Nio seinen Charakter an, gleitet wahlweise sanft dahin oder greift mit voller Kraft an. Dann kann er sich bei Fahrleistungen und Fahrgefühl mit manchem Sportwagen messen.

Etwas ärgerlich dagegen: Es gibt keinen Frunk, den zweiten Kofferraum im Bug. Auch lassen sich die Rücksitze nicht umklappen, was bei Autos seit vielen Jahrzehnten Standard ist. Zudem ist die Ladeluke zum großen Kofferraum ziemlich klein. Ein Handschuhfach haben sich die Chinesen auch gespart.

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Dabei legt es der Hersteller nicht generell aufs Sparen an. Das zeigt sich bei der Elektronikausstattung, dort leistet sich Nio beim ET7 Überfluss. Beispiele sind die Sensoren auf dem Dach und die gleich vier Nvidia-Prozessoren im Kofferraum. Von denen dient einer als Back-up und einer ist allein als Reserve für künftige Anwendungen installiert. »Wir haben die Rechenpower von 100 Playstations im Kofferraum und verarbeiten pro Minuten die Datenmenge eines Spielfilms in HD«, sagt Benjamin Steinmetz, der das Produktmanagement für Europa leitet. Dabei gibt er zu, dass der »Pilot« des ET7 bis dato nicht mehr kann, als die Lenk- und Abstandsassistenten der meisten Konkurrenten. »Aber Hardware kann man nicht nachrüsten, die Software schon«, sagt Steinmetz und verspricht alle zwei Monate ein großes Update. Hintergedanke: Wenn irgendwann das voll autonome Fahren kommt, soll es nicht an ein paar Elektronikbauteilen scheitern.

Das muss man wissen: Nio hat seine ersten Autos in China vor vier Jahren auf die Straße gebracht und mittlerweile rund 250.000 Fahrzeuge gebaut. Nach einem Jahr Vorspiel in Norwegen wollen die Chinesen, außer in Deutschland, in den Niederlanden, Dänemark und Schweden starten.

Vom ET7 sollen die ersten Exemplare noch im Oktober ausgeliefert werden. Er hat immer einen 180 kW-Motor im Bug und einen mit 300 kW im Heck und wird mit zwei Batterien angeboten: Das kleine Paket hat 75 kWh und reicht für 385 Kilometer, der große Akku ermöglicht mit 100 kWh eine Reichweite von 505 Kilometern. Dass Nio mit maximal 130 kW lädt – und der Konkurrenz mit bestenfalls 40 Minuten für die ersten 80 Prozent deutlich hinterherhinkt – ficht die Chinesen nicht an. Bringen sie doch auch ihre einzigartigen Akkuwechsel-Stationen nach Europa.

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Der Vorgang erinnert ein wenig an eine Autowaschanlage: Der Wagen parkt automatisch in der Box ein und rollt in einer Führung in Position. Während eine Hydraulik ihn etwas anhebt, löst ein Roboter von unten die Bolzen. Er nimmt den leeren Akku heraus, greift einen vollen aus dem Lager und zieht die Schrauben wieder an. Das alles dauert insgesamt nur fünf Minuten. Der Haken: Während es in China bereits über 1100 solcher Stationen gibt (wo zwölf Millionen Mal Akkus gewechselt wurden), sind es in Europa bislang nur drei: zwei in Norwegen und eine bei Augsburg. Eine vierte ist in Berlin im Bau. Bis zum Jahresende hofft Nio auf immerhin 20 auf dem Kontinent.

Recht flott baut der Hersteller die Modellpalette aus. Schon im Frühjahr folgen auf der gleichen Plattform der etwa 50 Zentimeter kürzere ET5 sowie als erster SUV für den Export der ES7. Der hat das riesige Format von BMW iX und Mercedes EQS SUV. Kaufen kann man allerdings keines dieser Autos. Nio bietet seine Fahrzeuge nur im Abonnement an. Das wird billiger, je länger man sich bindet – los geht es beim ET7 mit 1199 Euro im Monat.

Auch ein klassisches Händler- und Servicenetz sparen sich die Chinesen, stattdessen gibt es einen Onlineshop. In Berlin öffnet zudem bald das erste von etwa einem halben Dutzend deutscher »Nio-Houses«, das sind eher Begegnungsstätten denn Flagship-Stores. Bei Problemen mit dem Wagen kommt ein Nio-Serviceteam zum Kunden. Es repariert vor Ort oder lässt einen Ersatzwagen da.

Nio ET7

Hersteller

Nio

Typ

ET7

Karosserie

Limousine

Motor

Zwei Elektromotoren

Leistung

480 kW/653 PS

Drehmoment

850 Nm


Getriebe

Eingang-Automatik

Antrieb

Allradantrieb

Von 0 auf 100

3,8 s


Höchstgeschw.

200 km/h

Verbrauch

19,0 kWh/100 km

Kraftstoff

Strom

Batteriekapazität

100,0 kWh

Reichweite

505 Kilometer


CO2-Ausstoß

0 g/km

Länge/Breite/Höhe in mm

5.101/1.987/1.509

Gewicht

2379 kg

Preis (nur Abo)

ab 1199 Euro/Monat

Das werden wir nicht vergessen: Nomi, die stets lächelnde und mitteilungsbedürftige Sprachassistenz. Sie versteht sich als digitale Beifahrerin, hilft bei der Navigation und bedient die meisten Funktionen. Sie spricht zwar bislang nur englisch, hat aber schon deutsche Tugenden entwickelt. So weist sie den Fahrer auf die kleinste Verkehrsübertretung hin. Manch einer wird sie daher zum Schweigen bringen – ganz komfortabel per Sprachbefehl.

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Author: Rubie Ullrich

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